Verwendung innerhalb der Theorie der Sozialen Gerechtigkeit
Quelle: https://www.vice.com/en_us/article/vbw9pa/what-is-cancel-culture-twitter-extremely-online/
Absagen sind nicht persönlich, sondern ein Weg für marginalisierte Gemeinschaften, öffentlich ihre Wertesysteme durch Popkultur zu behaupten.
Wie sonst sollen wir, die Öffentlichkeit, weitestgehend machtlos in der täglichen Umsetzung von Wertesystemen, die Gesellschaft moderieren ohne etwas wie Absagekultur? Wo wir in Echtzeit die Einstellungen, die Gewalt aufrechterhalten, aufzeigen und sie bloßstellen können? Ungeachtet dessen, funktioniert Absagekultur? Ich weiß es nicht, aber sie ist das, was wir haben. Ich denke, sie hilft dabei, Menschen zu mobilisieren und Absichten in Richtung besserer legislativer Möglichkeiten zu steuern.
Kommentar des Neuen Diskurses
„Absagen“ („cancellation“) oder „Absagekultur“ („cancel culture“) wird großteils als ein Aspekt, und wohl als eine Eskalation, von „Empörungskultur“ („call-out culture“) verstanden, in welcher befunden wird, dass eine Person des öffentlichen Lebens etwas Problematisches gesagt oder getan habe, und diese Person dann bloßgestellt wird, zumeist in sozialen Medien. Dies führt zu Massenempörung und Forderungen nach dem Boykott des Werks dieser Einzelperson, deren Entlassung aus ihren Arbeitsverhältnissen, oder zum Rückzug von Einladungen zu Veranstaltungen (oder einer gänzlichen Absage ihrer Veranstaltungen). Es würde einem auf der Stelle vergeben werden, dies mit dem zu identifizieren, was es ist: eine moderne, von sozialen Medien gesteuerte Instanziierung von Kampfsitzungen im maoistischen Stil, in denen problematische Individuen massiver öffentlicher Beschämung ausgesetzt, zur Entschuldigung gezwungen, und dann weiter beschämt werden.
Durch die kulturelle Macht, die Ideen und Aktivisten der Sozialen Gerechtigkeit besitzen, und die Befürchtungen von Organisationen, dass sie als rassistisch, sexistisch, transphobisch, usw., erachtet werden, sind diese Versuche der Absage oft erfolgreich (siehe auch: Hegemonie). Verschiedene Faktoren, einschließlich der Beliebtheit der Person (und durch deren potentieller Einfluss auf die Diskurse), der Schwere der problematischen Aussage oder des problematischen Verhaltens, und der „Erwachtheit“ (wokeness) des Publikums dieser Person oder der Organisation, in der sie arbeitet, entscheiden, ob diese Person jemals dazu fähig sein wird, sich zu rehabilitieren, oder ob sie für immer „unberührbar“ sein wird. Das Ziel einer Absage besteht üblicherweise darin, die anvisierte Person von angesehenen Stellen zu entfernen, insbesondere von jenen, die die Kapazität haben, gesellschaftliche Diskurse zu erzeugen oder zu beeinflussen.
Im Allgemeinen ist eine Person desto anfälliger für eine Absage, je „erwachter“ (more woke) sie oder ihr Publikum ist (dies bedingt sich üblicherweise auch gegenseitig), statt weniger anfällig dafür. Die einfachste Erklärung dafür ist, dass die „Erwachten“ viel aufmerksamer sind gegenüber anderen „erwachten“ Personen als gegenüber sonstigen Personen, und sie sind an der Grenze der Besessenheit, die Diskurse aller Personen des öffentlichen Lebens zu untersuchen (siehe auch: Diskursanalyse).
Eine etwas tiefergehende Erklärung ist, dass von „Erwachten“, die ein kritisches Bewusstsein haben, erwartet wird, systemische Machtdynamiken und Positionalität stärker wahrzunehmen, ganz zu schweigen von einem zu wenig untersuchten Kern des Problems (siehe auch: allyship und good white), während jede andere Person als eher vulgär oder als potentiell unverbesserlich und unerwünscht gilt (siehe auch: konservativ).
Man wird erkennen, dass eine der Rechtfertigungen für dieses Verhalten darin besteht, „in Echtzeit die Einstellungen, welche Gewalt aufrechterhalten“ aufzuzeigen. Die Soziale Gerechtigkeit hat eine komplizierte Beziehung zum Gewaltbegriff (am besten im entsprechenden Eintrag erklärt), aber einstweilen reicht es aus zu sagen, dass „Gewalt“ Wörter, Rede, Ideen, Symbole, Bilder und potentiell sogar Gedanken einschließen kann, die der Aktivist der Sozialen Gerechtigkeit für gefährlich hält hinsichtlich ihrer Beteiligung dabei, dominante Diskurse zu produzieren oder aufrechtzuerhalten. Indem diese Phänomene als „gewaltsam“ markiert werden, ist es weitaus einfacher, erheblichen und zensierenden Aktivismus gegen sie zu rechtfertigen.
Verwandte Begriffe
Ally/Allyship; Call out; Conservative; Critical consciousness; Discourses; Dominance; Good white; Hegemony; Position; Problematic; Racism (systemic); Sexism (systemic); Social Justice; Systemic power; Transphobic; Violence; Woke/Wokeness
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Revisionsdatum: 8/17/20